Auswirkungen des EU-GMP-Annex 1 auf die Einführung von Single-Use-Systemen – Herausforderungen der Integritätsbestimmung
Hintergrund
Single-Use-Systeme (SUS) haben sich durch ihre Flexibilität und Kosteneffizienz im Vergleich zu klassischen Edelstahlsystemen in der Biotechnologie und der sterilen Steril Herstellung etabliert. Zu den Vorteilen zählen niedrigere Kosten im Vergleich zum Reinigungsprozess und Reinigungsvalidierung, geringere Bau- und Umbauaktivitäten und somit eine schnellere Markteinführung von neuen Arzneimitteln. Für Produkte mit kleiner Chargengröße wie klinisches Material oder Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP, Advanced Therapy Medicinal Products) sind SUS oft die einzige gangbare Option. In der Vergangenheit fehlte es jedoch an regulatorischen Vorgaben für die Einführung und Verwendung von SUS. Der überarbeitete EU-GMP-Annex 11 ist der erste Leitfaden, der die Erwartungen an SUS konkretisiert, besonders wenn sie nach der Sterilbarriere verwendet werden, also beispielsweise nach der Sterilfiltration.
Risiken im Zusammenhang mit SUS
Der aktuelle Annex 1 thematisiert diejenigen Risiken im Zusammenhang mit SUS, die als Teil der Kontaminationskontrollstrategie (Contamination Control Strategy = CCS) bewertet werden müssen. Zu diesen Risiken gehören Wechselwirkungen zwischen dem Arzneimittel und der SUS-Oberfläche wie etwa Adsorption oder potenzielle „Leachables“, Partikel sowie Bedenken hinsichtlich der Integrität von SUS, die als „fragil“ und „komplex“ eingestuft werden. Weiterhin enthält der Annex 1 eine Checkliste, welche die Qualifizierung von SUS Lieferanten (mit Schwerpunkt auf der Verifizierung der Sterilisation), die Überprüfung der Integrität während des gesamten Prozesses, die Festlegung von Akzeptanzkriterien, Verfahren zur Eingangskontrolle und die Schulung der Anwender umfasst. Darüber hinaus werden geschlossene Systeme, einschließlich intrinsischer Sterilkonnektoren behandelt (Abbildung 2 auf Seite 11). Abhängig von Design- und Prozessüberlegungen dürfen aseptische Prozessschritte nur in Reinraum Klasse A durchgeführt werden, falls ein Integritätsverlustrisiko besteht.
Geschlossene Systeme (SUS oder Sterilkonnektor) können in niedrigerer eingestuften Reinraumklassen verwendet werden, wenn die Integrität (z. B. durch Druckprüfung oder Überwachung) nachgewiesen ist.

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Verständnis der Verantwortlichkeiten von Lieferanten
Die Pharmaindustrie, sowohl SUS-Lieferanten als auch -Endanwender, war sich bereits vor der Veröffentlichung des überarbeiteten Annex 1 des mit SUS verbundenen Integritätsrisikos bewusst und verfolgte eher einen ganzheitlichen, risikobasierten Ansatz zur Bewertung der SUS-Integrität. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören die SUS-Komponenten, das Design des gesamten Systems, die Herstellungsprozesse des SUS, die Verpackung, der Versand und die Handhabung durch den End-Anwender. Die SUS Lieferanten sind verantwortlich für die Auswahl geeigneter Komponenten, wie z. B. strapazierfähige Beutelfolien, die Umsetzung bewährter Konstruktionsverfahren und die Gewährleistung eines validierten Herstellungsprozesses mit prozessbegleitenden Kontrollen und Freigabeprüfungen. Außerdem müssen sie die Integrität während des Versands durch qualifizierte Verpackungs- und Transportvalidierung sicherstellen.
Abbildung 1: Beispiel für eine Single-Use-Abfüllanlage (linker Teil) mit Dosierschläuchen und Abfüllnadeln (Nadeln nicht sichtbar, da sie sich im Inneren des Isolators befinden), Pumpenschläuchen und einem Vorlagebeutel. Das Abfüllset ist über einen Sterilkonnektor mit einem redundanten Single-Use-Filtrationssystem verbunden, das den pre-use post sterilisation integrity test (PUPSIT) unterstützt (rechter Teil). Bild: Mit freundlicher Genehmigung der PSM GmbH.
Die Endanwender sind verantwortlich - bestenfalls in Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten - Verfahren zur Eingangskontrolle, Sichtprüfung und Handhabung festzulegen. Allerdings verlagern sich kritischen Qualitätsprüfungen, Risikobewertungen und Strategien zur Risikominderung von den Arzneimittelherstellern zu den SUS-Lieferanten. Dies haben die Erwartungen der Behörden hinsichtlich der Tiefe der Qualifizierung von SUS-Lieferanten deutlich gesteigert. Wenn Risiken, die die Integrität gefährden, festgestellt werden, müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden (Annex 1, §8.130: “If the system can be shown to remain integral at every usage (e.g. via pressure testing and/or monitoring) then a lower classified area may be used”).
Integritätsprüfungen vor Ort: Ja oder Nein?
Der Annex 1 enthält keine spezifischen Angaben zu Prozess- und Designüberlegungen bzw. möglichen Integritätsproblemen, die eine Integritätsprüfung vor Ort beim Endanwender erfordern würde. Dies führt zu Unsicherheit darüber, wann solche Prüfungen notwendig sind. Im Oktober 2023 veröffentlichte die Swiss Medic ein technisches Interpretationspapier2, in dem Fragen im Zusammenhang mit Anhang 1 § 8.129 behandelt werden, einschließlich der Frage, ob die Integritätsprüfungen der Lieferanten ohne zusätzliche Vor-Ort-Prüfung akzeptiert werden können. Die Antwort bleibt zweideutig und besagt, dass die Integrität kritischer Single-Use-Systeme zwar idealerweise vor der Produktion vom Endanwender vor Ort getestet werden sollte, und dass, wenn kein Vor-Ort-Test durchgeführt werde, eine Risikobewertung vorgenommen werden müsse. Diese Bewertung sollte begründet und in das CCS integriert werden und eine umfassende Lieferantenqualifizierung sowie eine Bewertung der Risiken im Zusammenhang mit möglichen Schäden während der Lieferung und Installation beinhalten.
Abbildung 2: Aseptische Verbindung von zwei sterilen Flüssigkeitswegen (Einwegsysteme) unter Verwendung eines Sterilkonnektors. Entscheidend für die Integritätssicherheit ist ein robustes Design, das z. B. durch mikrobiologische Belastungstests qualifiziert ist, und eine Integritätsprüfung durch den Lieferanten. Die Durchführung der Verbindung sollte Bestandteil der aseptischen Prozesssimulierung sein. Ein Druckabfalltest vor Ort vor dem Verbinden ist bei mechanischen Konnektoren technisch nicht möglich. Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Merck KGaA Darmstadt Deutschland.
Batt et al.3 erörterten die Entwicklung und Validierung einer prozessspezifischen Integritätsprüfung für SUS und zeigten die damit verbundenen technischen Herausforderungen auf. Zu den Designeinschränkungen bei der Durchführung von Integritätsprüfungen vor Ort gehören die Verwendung von sterilen Konnektoren vor der Inbetriebnahme, Beutel, die möglicherweise einem erforderlichen Druck nicht standhalten, um eine ausreichende Messmpfindlichkeit zu erreichen sowie offene Enden bei Abfüllsystemen, welche die Prüfung erschweren. Außerdem birgt die Anwendung von Druck für Integritätsprüfungen das Risiko einer Beschädigung der SUS und ein Kontaminationsrisiko, wenn Gas in das sterile System eingebracht wird. Die Durchführung von Integritätsprüfungen nach der Verwendung ist ebenfalls eine Herausforderung, da Rückstände von Prozessflüssigkeiten die Ergebnisse beeinträchtigen können.

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Schlussfolgerung
Der überarbeitete EU-GMP-Annex 1 stellt einen kleinen Schritt nach vorn bei der Festlegung der regulatorischen Erwartungen an SUS in der sterilen pharmazeutischen Produktion dar. In der Vergangenheit hat die Industrie nur selten Integritätstests für SUS vor Ort durchgeführt und sich stattdessen für ganzheitliche Risikobewertungen entschieden.
Da die Einführung von SUS weiter voranschreitet, ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Beteiligten ihre Verantwortung verstehen, von der Qualifizierung der Lieferanten bis hin zur Implementierung effektiver Handlungsabläufe. Die Unklarheiten im Zusammenhang mit Integritätsprüfungen vor Ort erfordern weitere Schulungen für Inspektoren und Endanwender, um zu klären, wann solche Prüfungen angemessen sind und wie sie durchgeführt werden sollten. Die erfolgreiche Integration von SUS in die aseptische Herstellung hängt von einem kontinuierlichen Dialog ab.
Über die Autorin:
Dr. Simone Biel
... ist Senior Regulatory Consultant bei Merck Life Science KGaA, Darmstadt für die Bereiche Single-Use-Technologie und Filtration in der biopharmazeutischen Herstellung.
Fußnoten:
1 Europäische Kommission (2022), EU-Leitfaden für die Gute Herstellungspraxis von Human- und Tierarzneimitteln, Annex 1, Herstellung von sterilen Arzneimitteln
2 Swissmedic (2023), I-SMI.TI.25e Interpretation von GMP Annex 1 2022 (Rev. 1), https://www.swissmedic.ch/swissmedic/en/home/humanarzneimittel/bewilligungen_zertifikate/authorisations/inspectorates.html
3 Nicholas Batt, Simone Biel, Charles Raye, und Nicola Rutigliani (2022), Chem. Ing. Tech. 2022, 94, Nr. 12, 1985-1994