GMP-Trends: Annex 1, Konti-Prozesse und Kontrolle von Parenteralia (Teil 1)
Das Jahr 2015 steht im Zeichen der Revision des EUGMP- Leitfaden Annex 1 für die Herstellung steriler Arzneimittel. Dieser Annex ist seit 1992 in Kraft und wurde in der Zwischenzeit in den Jahren 1996, 2003 und 2008 überarbeitet und ergänzt. Aus aktuellem Anlass also wurde der Review des Annex 1 zu einem der Schwerpunktthemen des Pharma-Kongresses 2015. Folgerichtig ging Jean-Denis Mallet, ehemaliger Leiter des französischen GMP-Inspektorats Afssaps, in seiner Keynote detailliert auf diese aktuelle Entwicklung ein.
Insbesondere drei Entwicklungen sind hier die treibenden Kräfte; die Einbeziehung der ICH-Prinzipien, insbesondere von ICH Q 9 und Q 10 (Quality Risk Management und Pharmaceutical Quality System), die Einführung und Anwendung neuer Technologien mit deren spezifischen Anforderungen und die Klärung bisher nicht eindeutig formulierter Anforderungen in Verbindung mit der Harmonisierung zu amerikanischen Vorgaben.
Mit der gemeinsamen Ankündigung der EMA (European Medicines Agency) und der PIC/S (Pharmaceutical Inspection Co-operation Scheme) Anfang Februar 2015 wurde der Fahrplan der weiteren Aktivitäten vorgestellt. Dabei wurde der pharmazeutischen Industrie nur sehr kurzfristig bis Ende März 2015 Gelegenheit gegeben, ihre Vorstellungen an die Neufassung des Annex 1 zu formulieren. Wesentliche Eckpunkte des weiteren Fahrplans sehen die Veröffentlichung eines ersten Entwurfs seitens der EMA im Oktober 2015 vor. Nach einer entsprechenden Kommentierungsfrist seitens der Industrie und Einbeziehung der Kommentare in das Entwurfsdokument kann Ende 2016 mit einer finalisierten Version des EU-GMP-Leitfaden Annex 1 gerechnet werden.
In seinen Vortrag ging Jean-Denis Mallet auf die verschiedenen Entwicklungsstufen des aktuell gültigen Annex 1 ein und verwies dabei auf Schwachstellen und Unklarheiten innerhalb des bisherigen Dokumentes. Dabei nannte er die Fokussierung des aktuellen Annex 1 auf kleine Injectabilia wie auch die Tatsache, dass im Bereich Räumlichkeiten und Ausrüstung keine aktuellen Technologien (Simulationen, Restricted Access Barrier System - RABS) adressiert werden. Auf Grundlage der Struktur des aktuellen Annex 1 sieht er folgende Themen, die bei der Revision des Annex 1 dringend aufgenommen werden sollten, u.a:
- Einbeziehung von Augentropfen und großvolumigen Parenteralia
- Identifikation und Monitoring von Risiken
- Brillen (Goggles) und Anforderungen an die Ausbildung des Personals
- Gasförmige Desinfektionsverfahren und das Monitoring von Räumen
- Single Use Disposables
In seiner anschließenden Betrachtung des aktuell veröffentlichten Concept Papers konzentrierte sich Jean-Denis Mallet besonders auf die beiden Abschnitte Diskussion und Empfehlung. Im Kapitelpunkt "Discussion" werden die Argumente für die Revidierung des Annex 1 genannt, u.a.
- die Weiterentwicklung der ICH-Ansätze für die Sterilherstellung
- die Einbeziehung des technologischen Fortschritts
- die Vermeidung von Mehrdeutigkeiten und Unklarheiten
- die Implementierung von zukünftigen Arzneibuchentwicklungen, z.B. die Erzeugung von Water for Injection (WFI) mit anderen Methoden als der Destillation
- der Abgleich des Annex 1 mit anderen PIC/S-Dokumenten und
- der Abgleich des Annex 1 mit anderen internationalen Guidelines
Für Jean-Denis Mallet sollten hier keine dezidierten Technologien benannt werden. Generell sinnvoll wäre aber eine Erweiterung der 100%-Online Prüfungen anstelle eines finalen Tests. Ebenso wäre die Einziehung neuer mikrobiologischer Methoden und insbesondere von Echtzeit-Techniken und Echtzeit-Messungen notwendig.
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Im Kapitelpunkt "Recommendations" beschreiben die GMP/GDP Inspectors Working Group und das PIC/S Committee die Gründe wie auch den Zweck der anstehenden Neufassung. Im Wesentlichen aufgeführt sind die immer größer werdenden Lücken zwischen der aktuellen Fassung und dem regulatorischen und technologischen Umfeld. Erwähnt werden hier, dass sich die Prinzipien aus ICH Q 9 und Q 10 (u.a. Risikomanagement und CAPA) in der Neufassung wiederfinden wie auch, dass die Änderungen im Teil 1 des EU-GMP-Leitfadens sowie Neufassungen von anderen Anhängen berücksichtigt werden sollen. Jean- Denis Mallet gab zu bedenken, dass nicht alle Kapitel des Teil 1 des EU-GMP-Leitfadens die Neufassung im gleichen Maß beeinflussen müssen. Vielmehr sollten Schwerpunkte bei den Lieferanten von sterilen Komponenten und bei extern vergebenen Sterilisationen gebildet werden. Auch sollte das CAPA-Konzept bei der Umgebungsmonitoring- Strategie von Reinräumen beschrieben werden.
In einem weiteren Beitrag, der im Rahmen einer der Fachkonferenzen des Pharma-Kongresses gehalten wurde, ging Roland Guinet, ebenfalls ehemaliger Inspektor der französischen Afssaps, auf einige spezielle Punkte ein, die bisher nicht oder nur unzureichend vom Annex 1 adressiert werden. Eine Arbeitsgruppe der französischen A3P hatte dazu in den letzten beiden Jahren eine entsprechende Stellungnahme ausgearbeitet. Sein Beitrag fokussierte auf die Bereiche Barriere Systeme und Process Simulation / Media Fill. Er zeigte die bestehenden Unzulänglichkeiten auf und machte Vorschläge für die anstehende Revision.
Das Thema Barriere-Systeme wurde bislang im Annex 1 nur hinsichtlich der Anforderungen an Isolatoren behandelt. Wichtig ist seiner Auffassung nach die Einbeziehung der RABS (Restricted Access Barrier Systems) und der Closed Vial Systeme. Insbesondere beim Umgebungsmonitoring könnten sich Verbesserungen, also Reduzierung der Probenahme, gegenüber den klassischen Reinräumen ergeben. Entsprechende Vorschläge hierzu wurden in der USP 36 im Kapitel 1116 unterbreitet und seitens der Arbeitsgruppe übernommen.
Einen zusätzlichen Schwerpunkt setzte Roland Guinet bei Process Simulations / Media Fills. Hier sind die Vorgaben bei der letzten Überarbeitung des Annex 1 zum großen Teil schon mit den Vorgaben der amerikanischen FDA harmonisiert worden. Dennoch gibt es Punkte, die neu oder exakter formuliert werden sollten. So forderte Roland Guinet, dass sich die Validierung aseptischer Prozesse nicht nur auf die finale Abfüllung bezieht. Dezidiert erwähnt werden müssten auch die Phasen der Zwischenprodukte, der Bulk- und der finalen Bulkprodukte. Auch beim Design des Media Fills sollte präziser formuliert werden. Die bisherige Formulierung "various interventions" gibt zu viel Interpretationsspielraum. Vielmehr müssten alle Eingriffe der Routineproduktion aufgezeichnet und in der gleichen Frequenz im Media Fill abgebildet werden; darüber hinaus auch korrigierende Eingriffe sowie Worst-Case Situationen hinsichtlich der Dauer, der Anzahl der Personen wie auch der Komplexität der Tätigkeiten.
Im letzten Punkt betrachtete Roland Guinet die Behandlung von kontaminierten Einheiten. Generell wird eine 0-Kontamination erwartet. Je nach Umfang des Media Fills, unterteilt in bis 5000 Einheiten, zwischen 5000 und 10000 Einheiten und mehr als 10000 Einheiten, werden auch die zu treffenden Maßnahmen bei einer kontaminierten Einheit bzw. bei 2 kontaminierten Einheiten genannt. Die Aussagen selbst sind aber relativ unpräzise. Bei < 5000 Einheiten ist keine kontaminierte Einheit erlaubt. Wenn doch, ist der Media Fill gescheitert. Was wird aber dann erwartet; eine Untersuchung, eine Revalidierung? Hierzu fehlen klare Aussagen, ebenso in den beiden anderen genannten Umfängen eines Media Fills. Insgesamt eine spannende Entwicklung, welche in verschiedenen Beiträgen des Kongresses weiter aufgegriffen wurde und die in den kommenden Jahren für viel Diskussion sorgen wird.
Im zweiten Key-Note Beitrag ging Dr. Harald Stahl, Senior Pharmaceutical Technologist bei GEA, auf die globale Entwicklung der Pharmazeutischen Produktion und im Besonderen auf die Herstellung fester Formen ein. Sein sehr interessanter Beitrag beleuchtete zuerst die Verkaufszahlen der Top-20 Pharma-Firmen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten sowie deren Zuwachsschätzungen bis 2020 auf. Auffallend hierbei: die größten Umsatzsteigerungen werden bei Firmen mit Biotech-Produkten (Large Molecules) erwartet. Dies gilt ebenfalls für die Impfstoffe. Die Zeiten für Small-Molecule Blockbuster sind vorbei, so Dr. Stahl. Bei Generika ist in immer mehr Ländern ein massiv steigender Kostendruck vorhanden. Krankenkassen schließen Rahmenverträge mit Herstellern ab, während Ärzte für eine stetig steigende Zahl von Produkten lediglich noch den Wirkstoff verschreiben dürfen.
Im OTC-Geschäft, wo der Patient bzw. Kunde direkt durch die Werbung eines Pharma-Unternehmens angesprochen werden kann, lässt sich noch Geld verdienen. Nicht umsonst hat Bayer das OTC-Geschäft von Merck für $14,2 Milliarden übernommen. Durch gute Werbung lassen sich beispielsweise Schmerzmittel für einen sehr viel höheren Preis verkaufen.
In der globalen Verteilung der Märkte liegt die USA immer noch auf Platz 1, gefolgt von Japan. Dies könnte sich in Kürze ändern. So wird erwartet, dass China bis 2017 Japan überholen und nach den USA auf Platz 2 der Liste stehen wird. Kein Wunder also, dass sowohl Anlagenlieferanten wie auch Pharma-Hersteller verstärktes Interesse am Chinesischen Markt haben und dort Dependenzen aufbauen. Aber auch die Länder Brasilien, Russland und Indien weisen enormes Wachstum auf.
Doch trotz steigender Umsätze setzt die Pharma-Industrie immer noch zu sehr auf überholte Produktionstechnologie. Dr. Stahl zitierte hierzu u.a. Dr. Janet Woodcock, Director des CDER, FDA. Die Produktionstechnologie ist ihrer Aussage zufolge überholt, und nur durch Verfeinerung von Prozeduren und Dokumenten wird sich daran nichts ändern. Das Umdenken von Chargen- auf eine kontinuierliche Produktion sei ihr lieber, je früher desto besser. Ihr Anliegen hierbei ist natürlich die durch erhöhte Produktkenntnis verbesserte Produktqualität. Aber gerade für die preisgetriebene Herstellung fester Arzneiformen wird die Umstellung auf Konti-Produktion überlebenswichtig werden, so Dr. Stahl. Und dieser Umstellungsprozess hat bereits begonnen. So zeigte er im Anschluss Fallstudien der Firmen GSK, Astra Zeneca, Roche, Janssen Phama, Vertex und Pfizer, die dies belegten. Laut GSK wird mit einer Reduktion der Produktionskosten um 50% gerechnet. Aber auch das Scale-Up von der Entwicklung in die Produktion wird somit schneller und damit günstiger. Der einzige Scale-Up Parameter ist im Vollkonti-Betrieb die Zeit. Die Firma Vertex erhielt im März ihre Zulassung der FDA für ein auf der Konti-Anlage produziertes Produkt.
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Die Firma Pfizer geht sogar noch einen Schritt weiter. Neben einer kontinuierlichen Verfahrensweise soll die Produktion auch mobil werden. Mittels eines hierfür gegründeten Joint-Ventures soll Konti-Produktionsausrüstung am Standort A zusammengesetzt und qualifiziert werden, um dann in Containern an Standort B gebracht und produktionsfertig wieder aufgebaut zu werden. Die internationale ECA Konferenz "Control of Parenterals" befasste sich sowohl mit der visuellen Kontrolle von sterilen Arzneiformen als auch mit Methoden der Dichtigkeitsprüfung (Container-/Closure-Integrity). Im Teil Dichtigkeitskontrollen sprach unter anderem Herr Dr. Martin Becker, Leiter Technical Operations bei hameln pharmaceuticals. In seinem Beitrag ging er speziell auf die Prüfung von Ampullen ein, für die im Gegensatz zu anderen Primär-Behältnissen wie Fertigspritzen eine 100% Kontrolle auf Dichtheit vorgeschrieben ist. Fertigspritzen oder Vials können zu 100% geprüft werden, eine Stichprobenprüfung wird aber ebenfalls akzeptiert. Hierbei muss man sich aber vor Augen halten, dass nach einer FDA-Statistik aus dem Jahr 2013 22% der Rückrufe durch mögliche Unsterilitäten bedingt waren. Ein Hauptgrund hierfür sind Undichtigkeiten wie z.B. Risse in der Primärverpackung. Herr Dr. Becker verglich die verschiedenen Dichtheitsprüfmethoden miteinander auf ihre Eignung und ihre Grenzen. Für ihn ist die visuelle Kontrolle ganz klar auch eine Methode zur Überprüfung der Container- Integrität. Auch wenn diese Methode nicht sehr sensitiv ist und nur "Löcher" größer 25 ?m gesehen werden können, ist sie seines Erachtens die einzige Methode, die Kratzer von Rissen unterscheiden kann. Auch können in der visuellen Überprüfung Undichtigkeiten gefunden werden, die durch ausgetretenes, angetrocknetes Produkt quasi wieder verschlossen sind. Darüber hinaus ist die visuelle Kontrolle ein Prozess, der für Parenteralia sowieso stattfinden muss. Die Methode der Wahl für hameln pharmaceuticals, wie für viele andere Ampullen-Abfüller ebenfalls, ist die High-Voltage-Leak-Detection. Die Prüfmaschinen laufen in der Regel so schnell wie die Prüfautomaten der visuellen Kontrolle, so Dr. Becker, so dass sich beide Systeme gut takten lassen. Um für die Fragestellung nach einer möglichen Produktzersetzung gerüstet sein zu können, sollte man schon in der Entwicklung die Stabilität prüfen, also belegen, dass die Hochspannungsbehandlung keinen Einfluss hat. Mann sollte aber wissen, dass es durch die Hochspannungsbehandlung zur Bildung von Ozon kommt. Innen in der Ampulle, wie auch außerhalb. Bei empfindlichen Produkten sollte also der Sauerstoff im Headspace durch z.B. Stickstoff ersetzt werden, bevor die Ampullen verschlossen werden. Bei entsprechendem Betrieb liegt die false-reject rate bei 1-2 %, so Dr. Becker. Wichtig dabei ist, dass die Operator Handschuhe tragen, sonst geht der falsch-positive Auswurf nach oben. Neben der visuellen Überprüfung ist die Hochspannungsprüfung außerdem die einzige Methode, die durch angetrocknetes Produkt wieder verschlossene Undichtigkeiten detektieren kann. Auch die Wirtschaftlichkeit des Systems wurde angesprochen. Gemäß Herrn Becker gehen die Kosten nach oben, je größer die Ampullen werden und je kleiner die Chargen sind. Bei großen Chargen verliert man weniger Zeit für das Set-Up und die Reinigung.
Teil II dieses Beitrags erscheint in der Oktober/November-Ausgabe des GMP Journals und berichtet über aktuelle Bau- und Umbauprojekte unter Berücksichtigung von Effizienz sowie über Pharmawasser und Reinstmedien.
Autor:
Dr. Robert Eicher & Dr. Andreas Mangel
CONCEPT HEIDELBERG