Pharma-Kongress: Neues in Qualifizierung und Technologie (Teil I)
Im April fand Europas größter Pharma-Kongress seiner Art in Düsseldorf statt. Mit über 1000 Teilnehmern, 90 Ausstellern und 10 GMP-Konferenzen war der Kongress 2016 der Größte seit der erstmaligen Durchführung vor 18 Jahren. 50 Vorträge, fast ausschließlich Case Studies aus Pharma-Unternehmen wie Pfizer, Novartis, Boehringer Ingelheim u.v.m. wurden diskutiert.
Die begleitende PharmaTechnica Fachmesse war in diesem Jahr so stark frequentiert wie nie zuvor. Auch LiveDemos waren wieder Teil des Programms, in denen Ausstellerfirmen dem Fachpublikum ihre neuen Technologien vorführten. Die Firma Merck, Premium Sponsor des Kongresses 2016, nutzte die Live Demo in diesem Jahr, um den ersten mehrfach nutzbaren, sterilen Lynx® CDR Konnektor einzuführen. Durch die Möglichkeit des sechsmaligen sterilen Verbindens, Trennens und erneuten Verbindens (CDR, connect, disconnect, reconnect) von Single-Use Systemen bietet der Lynx® CDR Konnektor ein effizienteres Flüssigkeitsmanagement in biopharmazeutischen Prozessen. Das Interesse der Teilnehmer der Konferenz Single-Use Systems war entsprechend hoch.
Die Pharmatechnik-Konferenz, seit Beginn ein elementarer Teil des Pharma-Kongresses, befasst sich mit Bauund Umbauprojekten sowie Aktuellem aus der Pharmatechnik. Am zweiten Tag des Kongresses 2016 ging es hier auch um regulatorische Neuerungen.
Neuerungen in der Qualifizierung
Der Beitrag von Herrn Feuerhelm (Leitstelle Arzneimittelüberwachung Baden-Württemberg) stellte hier im Wesentlichen die Änderungen des seit 1. Oktober 2015 in Kraft getretenen EU-GMP Annex 15 bezüglich der Qualifizierung vor. Die neue Version ist gründlich überarbeitet worden und umfangreicher als die alte Version. Im Rahmen einer Mängelanalyse im Zusammenhang mit Inspektionen nannte er insbesondere die PQ. Seltener sind Mängel im Zusammenhang mit IQ und OQ zu nennen.
Bereits im Abschnitt ‚Grundsätze' sind einige Punkte zu nennen, die von besonderer Bedeutung sind. Dazu gehört auch der Hinweis, dass die relevanten Konzepte und Leitlinien in ICH Q8, Q9, Q10 und Q11 Berücksichtigung finden sollten. Eigentlich hat EU-GMP Teil III empfehlenden Charakter. Dadurch werden aber die ICH - Leitlinien aufgewertet und es wird wohl erwartet, dass man sich künftig umfänglich an diese hält.
Der Abschnitt "Planning for Validation" wurde erweitert und mit einer neuen Überschrift versehen: "Organising and planning for Qualification and Validation". Dies zeigt endlich, dass zwischen den beiden Begriff en Qualifizierung und Validierung zu unterscheiden ist. Hier hat an etlichen Stellen im alten Annex 15 der "Rote Faden" gefehlt. Die Unterscheidung zwischen Qualifizierung und Validierung war nicht immer ohne weiteres erkennbar.
Seminarempfehlung
26. November 2024
Dichtigkeitsprüfung von Parenteralia - Live Online Seminar
Nicht viel geändert hat sich an der Bedeutung des Validierungsmasterplans oder eines gleichwertigen Dokuments. Einige Punkte wurden geändert bzw. neu aufgenommen. Neu ist beispielsweise der Hinweis auf die Zuweisung von Verantwortlichkeiten oder die Forderung nach einem Abweichungsmanagement. Herr Feuerhelm wies insbesondere auf die Trennung zwischen Change-Management und Abweichungsmanagement hin. Hier gab es in der Praxis immer wieder Beanstandungen bei Inspektionen. Nicht immer war eine klare Trennung zwischen Change-Management und Abweichungsmanagement erkennbar. Von besonderem Interesse dürfte zu dem der Punkt Leitlinien zur Entwicklung von Akzeptanzkriterien sein.
Der Abschnitt "Dokumentation" ist erheblich erweitert worden. Einige wichtige Punkte sind unter anderem, dass alle Dokumente im Zusammenhang mit der Qualifizierung und Validierung von den entsprechenden Personen zu unterschreiben sind, Validierungspläne von Dritten vom Auftraggeber geprüft und freigegeben werden müssen oder falls Akzeptanzkriterien nicht erfüllt werden dies als Abweichung gilt. Eine vorläufige Freigabe zum nächsten Validierungs-/Qualifizierungsschritt ist zulässig, wenn keine signifikanten Abweichungen aufgetreten sind. Herr Feuerhelm wies darauf hin, dass dies bis jetzt auch schon im Rahmen von Inspektionen akzeptiert wurde, wenn es auch nicht explizit im Annex 15 genannt war.
Der zentrale Abschnitt für die Qualifizierung ist der Abschnitt 3 "3. Qualification Stages for Equipment, Facilities, Utilities and Systems". Dieser nennt und beschreibt die Qualifizierungsstufen. Die URS wurde als erste Qualifizierungsstufe in den Annex 15 aufgenommen und von der DQ abgetrennt. Sie soll über die gesamte Validierung ein Bezugspunkt sein. Weshalb man die URS von der DQ abgetrennt hat, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Vermutlich wollte man damit betonen, dass sie definitiv als erste Qualifizierungsstufe zu sehen ist. Als nächster Schritt wird dann die DQ genannt, die im Wesentlichen als Verifizierung von Lastenheft (URS) und Pflichtenheft gesehen wird.
Die beiden Begriffe Factory Acceptance Test (FAT) und Site Acceptance Test (SAT) wurden neu aufgenommen, jedoch nicht definiert. Der FAT sollte in der Regel durchgeführt und dokumentiert werden, und zwar insbesondere bei komplexen Systemen. Der FAT kann als Teil der Qualifizierung verwendet werden, allerdings nur wenn der Transport und die Installation keinen Einfluss haben.
Bei den Anforderungen an die IQ hat sich nicht viel geändert. Komplett neu ist hier nur die zusätzliche Forderung, die Installation auch gegen vordefinierte Akzeptanzkriterien zu prüfen.
Nach der IQ folgt die OQ. In Abhängigkeit von der Komplexität können IQ und OQ auch zusammen durchgeführt werden. Entfallen ist hier die formale Freigabe nach der OQ. Diese Forderung findet man jetzt im Abschnitt 2 "Dokumentation". Hier ist die Rede von einer formalen Freigabe für die jeweils nächste Qualifizierungsstufe.
Die PQ sollte nach einem erfolgreichen Abschluss von IQ und OQ durchgeführt werden. Unter Umständen kann die PQ auch zusammen mit der OQ oder der Prozessvalidierung durchgeführt werden. Neu ist der Einsatz von Worst-Case-Chargengrößen in der PQ. Die Häufigkeit und Menge der Probenahme soll nun begründet werden.
Die ursprüngliche Überschrift Revalidierung wurde durch die Überschrift Requalifizierung ersetzt. Es handelt sich hier um einen ähnlichen Text wie im ehemaligen Abschnitt Revalidierung. Einrichtungen, Anlagen, Ausrüstung und Prozesse einschließlich der Reinigung sollten in bestimmten Zeitabständen bewertet werden. Der Begriff Requalifizierung (statt Revalidierung) ist an dieser Stelle der richtige Wortlaut.
Der Abschnitt Validierung der Verpackung wurde neu aufgenommen. Insbesondere die Primärverpackung wird als kritisch angesehen. Es werden kritische Prozessparameter wie Temperatur, Maschinengeschwindigkeit und Siegeldruck genannt.
Die Qualifizierung von Betriebsmitteln bzw. Systemen zur Herstellung und Verteilung von Medien war bis jetzt noch nicht im Annex 15 thematisiert worden und stellt eine sinnvolle Ergänzung dar. Es werden konkret Medien wie Dampf, Wasser, Luft sowie andere Gase genannt. Für diese Medien wird jetzt eine Qualifizierung nach den in Abschnitt 3 genannten Stufen gefordert (DQ, IQ, OQ, PQ). Erstmals wird der Zeitraum der Qualifizierung für Mediensysteme in EU-GMP Annex 15 angesprochen. Die Qualifizierungsstrategie bei Wassersystemen entsprach schon lange dieser Forderung, da dies ursprünglich schon im FDA Guide to Inspections of High purity Water Systems oder andere Leitlinien und Standards beschrieben wurde.
Bei den Systemen zur Erzeugung, Lagerung und Verteilung von Gasen gab es teilweise von Betrieb zu Betrieb Unterschiede. So wurden Systeme zur Erzeugung und Verteilung von Druckluft zum Teil gar nicht qualifiziert.
Der Abschnitt Change Control wurde teilweise geändert bzw. erweitert. Der Umgang mit Änderungen erfolgt innerhalb des QM-Systems. Es werden Einzelpunkte genannt, die Änderungen betreff en können - wie beispielsweise Ausgangsstoff e, aber auch Ausrüstung, Räume oder Betriebsmittel. Änderungen sollten von verantwortlichen Personen genehmigt werden. Nach Durchführung der Änderung sollte bewertet werden, ob die Änderung erfolgreich war.
Neues aus der Erzeugung von WFI
In einem weiteren Beitrag zur ‚Erzeugung von WFI über Kaltverfahren' erläuterte Herr Feuerhelm wesentliche Aspekte der Monographieänderung "Water for injection in bulk". In einer Pressemitteilung des EDQM wird die neue Monographie für April 2017 im Europäischen Arzneibuch Supplement 9.1 angekündigt.
Zum 1. April 2015 wurde der Entwurf zur neuen Monographie veröffentlicht. Praktisch gleichzeitig erschien ein Background-Dokument in Pharmeuropa "Reverse osmosis in Ph. Eur. monograph Water for injections (0169)". In diesem Dokument sind nun einige Hinweise in Form einer Aufzählung enthalten, die die Meinung unterstützen sollen, dass auch andere Verfahren als die Destillation dazu geeignet sind, WFI herzustellen.
Betrachtet man den Entwurf zur neuen Monographie so, ist der zentrale Hinweis wie folgt formuliert: "By reverse osmosis, which may be single-pass or doublepass, coupled with other suitable techniques such as deionisation and/or ultrafiltration".
Die Formulierung ist nach Auffassung von Herrn Feuerhelm leider nicht sehr genau. Bei "deionisation" ist anzunehmen, dass hier Elektrodionisation gemeint ist. Eventuell kann hierauf wohl aber auch verzichtet werden, und als zweite Aufbereitungsstufe könnte eine Ultrafiltration ausreichend sein. Grundsätzlich ist allerdings die Rede von geeigneten Technologien. Wer soll entscheiden, was geeignet ist? In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf den neuen EU-GMP Annex 1 verwiesen. Dieser enthält aber im Entwurf keine weiteren Details zur Technologie der Aufbereitung über die Umkehrosmose.
Als weiteres wichtiges Dokument erwähnt Herr Feuerhelm ein Frage- und Antwortpapier zu "Wasser für Injektionszwecke (WFI) hergestellt durch Umkehrosmose (RO) und Biofilm-Kontroll-Strategien". Dieses existiert im Entwurf, ist aber noch nicht veröffentlich worden. Der Zweck des Q&A Dokuments ist es, Aufklärung und Beratung in Bezug auf die Verwendung von Umkehrosmose bei der Herstellung von Wasser für Injektionszwecke (Teil I) bereitzustellen und auch Hinweise für die Kontrolle der Biofilme zu liefern (Teil II). Das Dokument versucht Detaillücken des Monographie-Entwurfs auszugleichen. Allerdings besitzen Q&A-Dokumente keine Rechtskraft und können maximal als Stand der Technik angesehen werden.
Die TOC-Messung wird als wesentliches Kontrollelement eingeführt. Es müssen On-line TOC-Systeme an unterschiedlichen Stellen des Wassersystems vorhanden sein. Herr Feuerhelm weist darauf hin, dass der nach Arzneibuch zulässige Grenzwert von TOC (500 ppb) weit ab von der Realität liegt. Die Werte liegen in einem Bereich von 10 bis 30 ppb und selten über 50 ppb. Damit wird eine Anpassung des Grenzwertes für ihn als zwingend erforderlich angesehen.
Zu bemängeln ist, dass praktisch keine detaillierten Angaben zum Anlagendesign zu finden sind. Mit dem Design der Anlage wird aber auch eine wichtige Basis für den Schutz vor Biofilmen festgelegt. Die Kontrolle der Biofilmbildung ist ein wesentlicher Aspekt für die Akzeptanz der Anlage und des Anlagenbetriebs durch den Inspektor.
Die Lagerung und Verteilung des kalt erzeugten WFI kann sowohl kalt als auch heiß erfolgen. In der Praxis ist davon auszugehen, dass es sich hauptsächlich um komplette Kaltsysteme handeln wird. Lagerung bei Raumtemperatur ist kritisch, und nur zusätzliche Maßnahmen wie Ozonisierung sorgen für Sicherheit.
Regulatorische Vorgaben für die Validierung einer "kalten" WFI-Erzeugung sind nicht in der neuen Arzneibuchmonographie zu finden. Letztendlich muss über die Validierung gezeigt werden, dass Wasser geeigneter Qualität erzeugt und gelagert wird. Ausführliche Hinweise sind im Dokument Frage- und Antwortpapier zu "Wasser für Injektionszwecke (WFI) hergestellt durch Umkehrosmose (RO) und Biofilm-Kontroll-Strategien" enthalten. Diese Hinweise lehnen sich im Wesentlichen an den FDA Guide to Inspections of High purity Water Systems an.
Die Sanitisierung der Aufbereitung sowie des Lagerund Verteilsystems wird bei solchen Anlagen eine zentrale Rolle bei Inspektionen spielen. Das Frage- und Antwortpapier zu "Wasser für Injektionszwecke (WFI) hergestellt durch Umkehrosmose (RO) und Biofilm- Kontroll-Strategien" enthält viele Hinweise und Vorgaben zur Sanitisierung. Ein nicht ausreichendes Sanitisierungskonzept könnte Konsequenzen für den Betrieb der Anlage haben.
Seminarempfehlung
27./28. November 2024
Visuelle Kontrolle von Parenteralia - Live Online Seminar
In einem WFI-System, bei dem das WFI kalt gelagert und verteilt wird, wird man laut Klaus Feuerhelm zwangsläufig an einer Ozonisierung nicht vorbeikommen. Detaillierte Hinweise zur Ozonisierung findet man im ISPE Good Practice Guide: Ozone Sanitization in Pharmaceutical Water Systems. Erfahrungen aus Inspektionen zeigen, dass die Vorgehensweise bei der Sanitisierung des Verteilsystems teilweise stark schwankt. Die Sanitisierungszeiten von inspizierten Pharma-Firmen liegen meist zwischen 1h bis 12h. Die Durchführung erfolgte in der Regel wöchentlich bis maximal monatlich. Dies gilt allerdings für Systeme zur Lagerung und Verteilung von gereinigtem Wasser. Zur Sanitisierungszeiten finden sich in dem ISPE Guide einige wesentliche Hinweise:
- "In most cases, it has been found that ozone sanitizations should be performed weekly, as a minimum
- One hour may be considered for purified water systems
- For higher quality waters, more frequent sanitization is typical, such as daily sanitization."
Das bedeutet, dass wir in solchen kalten WFI-Systemen also täglich eine Sanitisierung mit Ozon durchführen sollten. Dies wird sich nicht in allen Betrieben ohne weiteres durchführen lassen.
Aus dem Frage- und Antwortpapier zu "Wasser für Injektionszwecke (WFI) hergestellt durch Umkehrosmose (RO) und Biofilm-Kontroll-Strategien" ist zu entnehmen, dass die Verhinderung und Umgang mit Biofilmen ein zentrales Element zu sein scheint, wenn WFI über Membranverfahren erzeugt werden soll. Es herrscht allerdings noch Unklarheit, ob das Dokument überhaupt veröffentlicht werden soll, wenn ausreichende Regelungen im neuen EU-GMP Annex 1 vorhanden sind. Dies ist definitiv im Entwurf jedoch nicht der Fall.
Besondere Aufmerksamkeit erhielten auch die beiden Keynotes des Pharma-Kongresses zu einer Quality Metrics Case Study bei Aenova sowie zur Revision des Annex 1 des EU-GMP Leitfadens ging. Wie Dr. Friedrich Haefele, Vice President Fill & Finish Biopharma bei Boehringer Ingelheim die Revision des Annex 1 sieht, lesen Sie in der Oktober-/November-Ausgabe des GMP Journals.
Autor:
Dr. Robert Eicher
... ist seit 2006 bei CONCEPT HEIDELBERG und hier Fachbereichsleiter für die Themenbereiche visuelle Inspektion, Wasser, Haustechnik und Reinraum.