Real-World Daten (RWD) und Real-World Evidence (RWE) zur Unterstützung der Arzneimittel-Entwicklung
Die Verwendung von Real-World Daten (RWD - Daten aus der realen Praxis) und Real-World Evidence (RWE - real erworbene Evidenz) spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung, Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln. Um in diesem Bereich voranzukommen, hat die Europäische Arzneimittel-Behörde (EMA) ein umfassendes Dokument veröffentlicht, in dem sie erklärt, wie aus RWD abgeleitete RWE die regulatorische Entscheidungsfindung unterstützen kann. In dem Dokument wird der Schwerpunkt auf praktische Anwendungen von RWE gelegt. Dazu gehören das Schließen von Lücken in der Evidenzlage, die Verbesserung der Effizienz von Zulassungsverfahren und die zeitnahe Generierung von Evidenz zur Unterstützung der Entscheidungsfindungsprozesse der Zulassungsbehörden. Darüber hinaus kann die EMA bei der Ermittlung der besten Ressourcen für die Beantwortung spezifischer Forschungsfragen, bei der Durchführung zielgerichteter Analysen und der Sicherstellung der Generierung unabhängiger und transparenter Evidenz Hilfestellung geben.
Anwendungen und Nutzen von RWD / RWE
Einer der größten Vorteile der Verwendung von RWE ist, dass RWE die Ergebnisse vervollständigen kann, die im Rahmen herkömmlicher klinischer Prüfungen gewonnen wurden, insbesondere in Bereichen, in denen im Propdukt-Lebenszyklus Datenlücken bestehen. Die Verwendung von RWE ermöglicht die gleichzeitige Überwachung zahlreicher Produkte, wodurch unnötige Mehrfachstudien vermieden werden und die Verfahren für Zulassungsinhaber gestrafft werden. Die Geschwindigkeit und Effizienz der Generierung von Evidenz werden verbessert, was wiederum zu einer Verkürzung der Zulassungsschritte für spezifische Studien führen kann.
Das entsprechende Dokument der EMA heißt Real-world evidence provided by EMA - Support for regulatory decision-making (Von der EMA bereitgestellte Real-World Evidence - Unterstützung für die regulatorische Entscheidungsfindung). Es wurde auf der Big Data-Website der Behörde veröffentlicht und unterstreicht, dass wissenschaftliche Fragen derzeit unter Verwendung von drei wesentlichen RWE-Ansätzen angegangen werden können:
1. DARWIN EU® (Data Analysis and Real-World Interrogation Network)
2. Interne elektronische Gesundheitsdatenbanken aus verschiedenen EU-Ländern
3. Studien, die unter EMA-Rahmenverträgen durchgeführt werden
Diese Ansätze ermöglichen es Berichterstattern, Assessoren und Vertretern nationaler Zulassungsbehörden, der EMA Fragen vorzulegen. Durch die Beantwortung dieser Fragen wird ihnen bei der Beurteilung von Arzneimitteln geholfen, indem ihnen zusätzliche Daten zur Unterstützung ihrer Bewertung hinsichtlich der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bereitgestellt werden.
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Technologische Fortschritte der EMA: Scientific Explorer
Im März 2024 führte die EMA den Scientific Explorer ein, ein KI-gestütztes Instrument, das Regulierungsbeamte der EU dabei unterstützen soll, regulatorische wissenschaftliche Informationen zu durchsuchen. Das Instrument ermöglicht eine gezielte und präzise Suche in den Quellen des EMA-Netzwerks, wodurch die Entscheidungsfindungsprozesse vereinfacht und beschleunigt werden. Dieses KI-gestützte Instrument ist Teil der weiter gefassten Anstrengungen der EMA, ihre Zulassungsverfahren zu modernisieren und den Zugang zu maßgeblichen RWD und einschlägiger RWE zu verbessern.
Erkenntnisse aus der EMA-Pilotstudie zu RWE
Zwischen September 2021 und Februar 2023 hat die EMA ein Pilotprojekt durchgeführt, um RWE zur Unterstützung regulatorischer Beurteilungen zu generieren. Diese Initiative, die in der Zeitschrift Clinical Pharmacology & Therapeutics (Real-World Evidence to Support EU Regulatory Decision Making Results from a Pilot of Regulatory Use Cases Real-World Evidence zur Unterstützung der regulatorischen Entscheidungsfindung der EU Ergebnisse einer Pilotstudie zur konkreten Anwendung durch Regulierungsbehörden) ausführlich beschrieben wurde, hat wichtige Erkenntnisse dazu geliefert, wie RWE in Zulassungsprozesse integriert werden kann.
Im Rahmen der Pilotstudie wurden mehrere wichtige Erkenntnisse gewonnen:
- Komplementarität mit klinischen Prüfungen: RWD und RWE können die im Rahmen herkömmlicher klinischer Prüfungen gewonnenen Erkenntnisse verbessern, indem sie helfen, Evidenzlücken zu schließen, die in verschiedenen Phasen des Produkt-Lebenszyklus bestehen.
- Zeitnahe Generierung von Evidenz: Zur Einhaltung regulatorischer Fristen ist ein schnellerer Zugang zu repräsentativen Daten erforderlich.
- Zusammenarbeit und Kommunikation: Eine frühzeitige und enge Interaktion mit den Interessenvertretern, einschließlich der wissenschaftlichen Ausschüsse der Behörde, ist wesentlich für das Verständnis von Forschungsfragen und zur Sicherstellung der Relevanz der durchgeführten Studien.
Die EMA betont die wirksame Einsetzung dieser Erkenntnisse, um das Potenzial von RWE in zukünftigen Zulassungsprozessen zu maximieren.
Harmonisierungsbestrebungen
Die EMA hat Schritte zur Harmonisierung der Verwendung von RWE im regulatorischen Umfeld unternommen. Eine wesentliche Initiative ist das Reflexionspapier der ICH Real-World Evidence (RWE) and Real-World Data (RWD) to support regulatory decision-making (Real-World Evidence (RWE) und Real-World Daten (RWD) zur Unterstützung der regulatorischen Entscheidungsfindung), mit welchem die Terminologie standardisiert und Grundsätze für die Planung von auf RWD gestützten Studien und die diesbezügliche Berichterstattung angeglichen werden sollen. In dem Papier, das nach einer öffentlichen Konsultation, die von Juni bis September 2023 stattfand, überarbeitet wurde, werden die folgenden Bereiche für eine Harmonisierung skizziert:
- Standardisierung der Terminologie: Angleichung der Definitionen für RWD und RWE, um die Konsistenz über Regulierungsrahmen hinweg zu gewährleisten.
- Format von Protokollen und Berichten: Festlegung eines einheitlichen Formats für Studienprotokolle und Berichte, die während des Lebenszyklus eines Arzneimittels eingereicht werden.
- Registrierung von Studien: Aufforderung zur Registrierung von Protokollen und Berichten zur Förderung der Transparenz und Rechenschaftspflicht.
Darüber hinaus werden in einem Anhang des Reflexionspapiers die bestehenden regulatorischen Leitlinien und Ressourcen im Zusammenhang mit RWD und RWE zusammengefasst.
RWD in nicht-interventionellen Studien
Nicht-interventionelle Studien oder sogenannte Anwendungsbeobachtungen, die keine Randomisierung oder Verblindung umfassen, werden zunehmend als wertvolle Quellen für RWD für regulatorische Zwecke anerkannt. Obwohl klinische Prüfungen die primäre Quelle für die Beurteilung der Vorteile und Risiken von Prüfpräparaten bleiben, haben nicht-interventionelle Studien bei Sicherheitsbeurteilungen nach der Zulassung an Zugkraft gewonnen. Die EMA hat einen Entwurf eines Reflexionspapiers über den Einsatz von RWD in nicht-interventionellen Studien zur Generierung von RWE veröffentlicht, der bis August 2024 für Stellungnahmen offen war. In dem Entwurf wird auf die methodischen Herausforderungen nicht-interventioneller Studien eingegangen und die Wege zur Verbesserung ihrer Akzeptanz für die Beurteilung der Wirksamkeit untersucht. Mit den laufenden Projekten der EMA sollen strukturiertere RWD generiert und diese Daten in den Entscheidungsfindungsprozess der Regulierungsbehörden integriert werden, wodurch die nicht-interventionellen Studien bei der Beurteilung von Arzneimitteln eine größere Rolle spielen.
Außerdem wurde im Mai 2024 nach dem zuvor veröffentlichten ICH-Reflexionspapier Real-World Evidence (RWE) and Real-World Data (RWD) to support regulatory decision-making, der Entwurf der ICH M14-Leitlinie Guideline on General Principles on Plan, Design and Analysis of Pharmacoepidemiological Studies that utilize Real-World Data for Safety Assessment of Medicines (Leitlinie über allgemeine Grundsätze zu Konzept, Aufbau und Analyse pharmako-epidemiologischer Studien, die Real-World Data für die Beurteilung der Sicherheit von Arzneimitteln verwenden) für die öffentliche Konsultation veröffentlicht. In dieser Leitlinie wird der Schwerpunkt auf nicht-interventionelle Studien gelegt, die RWD verwenden, und Empfehlungen für die Beurteilung der Sicherheit von Arzneimitteln, einschließlich Medikamenten, Impfstoffen sowie anderen biologischen Arzneimitteln, gegeben.
Mit der ICH M14- Leitlinie sollen international bewährte Verfahren in Bezug auf die Planung und Durchführung von Unbedenklichkeitsstudien mit RWD angeglichen werden, während gleichzeitig das Potenzial für die Verwendung von RWE zur Beurteilung der Wirksamkeit von Arzneimitteln bei der Verwendung in der üblichen klinischen Anwendung ausgeweitet wird. Die Leitlinie stellt auch eine Verbindung mit anderen derzeitigen Arbeiten der ICH, wie die ICH E6(R3) (Good Clinical Practice (GCP Gute klinische Praxis)) sowie der ICH M11- Leitlinie (CeSHarP) dar, in welcher der Schwerpunkt auf klinische Prüfungen und die entsprechenden Protokolle gelegt wird.
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Schlussfolgerung Die Initiativen der Europäischen Arzneimittel-Agentur in Bezug auf RWD und RWE spiegeln eine signifikante Verschiebung in Richtung der Integrierung von Daten aus der realen Praxis in den Regulierungsrahmen für die Entwicklung von Arzneimitteln wider. Durch die Harmonisierung von Standards, die Verwendung fortschrittlicher Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI) sowie die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nicht-interventionelle Studien strafft die EMA Verfahren und verbessert die Belastbarkeit der Evidenz, die bei regulatorischen Entscheidungen herangezogen wird. Diese Bemühungen versprechen nicht nur schnellere und umfassendere Beurteilungen, sondern ermöglichen auch ein reaktionsfähigeres behördliches Umfeld, welches sich an die sich stetig verändernden regulatorischen Anforderungen an Prüfpräparate und Arzneimittel anpassen kann.
Schlussfolgerung
Die Initiativen der Europäischen Arzneimittel-Agentur in Bezug auf RWD und RWE spiegeln eine signifikante Verschiebung in Richtung der Integrierung von Daten aus der realen Praxis in den Regulierungsrahmen für die Entwicklung von Arzneimitteln wider. Durch die Harmonisierung von Standards, die Verwendung fortschrittlicher Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI) sowie die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nicht-interventionelle Studien strafft die EMA Verfahren und verbessert die Belastbarkeit der Evidenz, die bei regulatorischen Entscheidungen herangezogen wird. Diese Bemühungen versprechen nicht nur schnellere und umfassendere Beurteilungen, sondern ermöglichen auch ein reaktionsfähigeres behördliches Umfeld, welches sich an die sich stetig verändernden regulatorischen Anforderungen an Prüfpräparate und Arzneimittel anpassen kann.
Über die Autorin:
Dr. Andrea Kühn-Hebecker
... ist seit 2015 bei CONCEPT HEIDELBERG und als Fachbereichsleiterin verantwortlich für die Themen Packaging, Phytopharmaka, Entwicklung und Life Cycle Management.