Trends erkennen und analysieren - die ECA-Guideline zu OOE und OOT Results
In der Produktion und Qualitätskontrolle von Wirkstoffen und Arzneimitteln fallen große Mengen an Daten an, aus denen Aussagen zur Qualität des betreffenden Produkts abgeleitet werden und als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen im Produktionsablauf bzw. für oder gegen die Freigabe des Produkts dienen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Qualität der Daten sicher beurteilen und Trends erkennen zu können, die auf Qualitätsdefekte im Produkt oder Abweichungen im Produktionsprozess hinweisen.
Die Analytical Quality Control Group (AQCG) der European Compliance Academy, ECA, hat mit der Leitlinie "Laboratory Data Management Guidance - Out of Expectation (OOE) and Qut of Trend (OOT) Results" diese Problematik aufgegriffen und Standards formuliert, nach denen Trends erkannt und analysiert werden können. In diesem Dokument werden statistische Werkzeuge zur Identifizierung von Trends und Abweichungen beschrieben, die u. U. im Rauschen versteckt und somit nicht unmittelbar ersichtlich sind.
Die erste Version dieser ECA-Guidance erschien im Dezember 2015, eine revidierte Fassung V 1.1 wurde im November 2016 auf der ECA-Webseite veröffentlicht und ist auf der Seite der Analytical Quality Control Group (AQCG) verfügbar.
Geltungsumfang und Anwendungsbereich der Guidance
Die Guidance ist anwendbar für alle chemischen/physikalisch-chemischen Laborprüfungen in denen kontinuierliche, in der Regel normalverteilte, Daten (z. B. Bestimmung von Gehalt oder Verunreinigungen) oder diskrete Daten (z. B. Identitätsprüfungen oder kosmetische Defekte, Verfärbungen etc.) anfallen. Die in diesem Dokument beschriebenen statistischen Methoden sind anwendbar für zwei Standardsituationen, die regelmäßig im Bereich der Qualitätskontrolle auftreten:
- Ein Trend wird nicht erwartet, da das analytische Verfahren oder der Produktionsprozess validiert ist und konsistente Ergebnisse gleichbleibender Qualität liefern sollte.
- Ein Trend wird erwartet, z. B. bei einer Stabilitätsstudie, es sollen jedoch evt. darunter verborgene Trends identifiziert werden.
Die Guidance ergänzt die Verfahrensanweisung "STANDARD OPERATING PROCEDURE Laboratory Data Management; Out of Specification (OOS) Results" der AQCG aus dem Jahr 2013 und sollte im Zusammenhang mit dieser angewendet werden.
Folgende Kapitel bilden das Kernstück der OOE/OOT-Guidance:
1. Das Konzept der Kontrollkarten
Ob ein Prozess stabil bzw. leistungsfähig ist, kann anhand geeigneter Entscheidungskriterien beurteilt werden. In diesem Kapitel werden zwei dieser Kriterien beschrieben:
- WECO-Regeln; diese beinhalten 4 Situationen mit jeweils spezieller Verteilung von Datenpunkten, die auf einen Trend hinweisen ("WECO" leitet sich ab vom Statistical Quality Control handbook der Western Electric Company aus dem Jahr 1956).
- Nelson-Regeln; diese beschreiben 8 spezielle Datenverteilungen, die einen Trend anzeigen (Lloyd S. Nelson, "Technical Aids," Journal of Quality Technology 16(4), 238-239, October 1984)
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Empfohlen werden die 4 WECO-Regeln, die in den meisten Fällen für die Erkennung eines Trends und damit eines instabilen Prozesses ausreichen.
2. Nachweis und Umgang mit OOE-Resultaten
Zunächst wird folgende Begriffsklärung vorgenommen:
- OOS: ein Testresultat, das nicht mit den vorab festgelegten und im Zulassungsdossier angegebenen Akzeptanzkriterien übereinstimmt.
- OOT: ein Ergebnis, das außerhalb der erwarteten Variabilität/ Messunsicherheit des Analysenverfahrens liegt bzw. nicht dem erwarteten Trend folgt (z.B. bei einer Stabilitätsstudie); auf Grundlage einer ausreichend großen Datenbasis kann dies berechnet bzw. abgeleitet werden.
- OOE: ein Ergebnis, das außerhalb der erwarteten Variabilität/ Messunsicherheit des Analysenverfahrens liegt, jedoch nicht statistisch abgeleitet werden kann
In folgenden zwei Szenarien können OOE-Resultate auftreten:
- Unerwartete Schwankungen in Mehrfachbestimmungen oder Testserien.
Wenn eine Abweichung außerhalb der üblichen Schwankungsbreite Δ von ≤ 2,0% liegt, (z. B. 2,2%), bedeutet dieses OOE-Ergebnis eine Abweichung, die eine Ursachenforschung erfordert. - Unerwartete Schwankungen bei einer Einzelprüfung oder Prüfungen mit geringen Probenumfang
Eine Entscheidung, ob der oder die Werte noch innerhalb der erwarteten Variabilität liegen, ist aufgrund der geringen Datenbasis nicht möglich. In diesem Fall sollten Validierungsdaten herangezogen. Die kombinierte Standard- Messunsicherheit als Leistungsindikator kann zur Entscheidungsgrundlage (OOE - ja oder nein) dienen. Die Guideline beschreibt ein Verfahren zur Festlegung solcher Standard-Messunsicherheiten.
3. Trendanalyse für die statistischen Prozesskontrolle
Überwachung kontinuierlicher Daten
Für diesen Zweck empfiehlt die Guideline die Verwendung von Shewhart-Kontrollkarten. Eine solche Kontrollkarte besteht aus einer Zentrallinie, die die innerhalb einer Referenzperiode gesammelten Mittelwerte repräsentiert sowie einer oberen und unteren Kontrollgrenzlinie (upper control limit, UCL; lower control limit, LCL), die den akzeptablen Wertebereich eingrenzen. Wenn eine Urachenforschung durchgeführt werden muss, ist eine CuSum-Kontrollkarte ("cumulative sum") das Mittel der Wahl zur Analyse historischer Daten. Hier wird die Differenz von aufeinanderfolgenden Werten gegen die Zeit aufgetragen (s. Kap. 5).
Überwachung diskreter Daten
Diskrete Daten können mit Hilfe von p- bzw. np-Karten kontrolliert werden. Wie die Kontrollkarten für kontinuierliche Daten bestehen diese Karten auch aus einer Zentrallinie sowie einer oberen und unteren Kontrollgrenzlinie. Im Beispiel einer Eingangsprüfung werden mit dieser Methode für jeden Probenzug der Bruchteil an Probenelementen mit Qualitätsdefekt ermittelt.
4. Trendanalyse bei Stabilitätsprüfungen
Mit der Analyse von Stabilitätsdaten soll festgestellt werden, ob
- eine Charge "out-of-trend" ist in Bezug auf historische Chargen.
- eine oder mehrere auffällige Befunde bei einer Charge auf eine out-of-trend-Situation hinweisen.
In der ECA-Guidance werden zwei statistische Verfahren erläutert: das "linear regression"-Modell und das "Random Coefficients Regression"-Modell. Das mathematisch einfachere "linear regression"-Modell liefert Informationen über Stabilitätswerte in Abhängigkeit von der Zeit und eignet sich zur Vorhersage von Stabilitätsdaten. Mit dem komplexeren "Random Coefficients Regression"-Verfahren werden multivariate Parameter berücksichtigt und mehrdimensional abgebildet. In beiden Fällen werden die Steigungen der Stabilitätsgraphen (Gehalt in Abhängigkeit von der Zeit) von untersuchter Charge und historischer Charge verglichen und die Differenz ermittelt. Übersteigt diese Differenz einen festgelegten Grenzwert, ist die betreffende Charge out-of-trend.
5. Trendanalyse für die Ursachenforschung
Plötzlich auftretende oder größere Auffälligkeiten in einer analytischen Messreihe lassen sich sehr gut mit einer Shewhart- Kontrollkarte erkennen; zur Identifizierung kleinerer permanenter Abweichungen von einem Richtwert müssen alternative Verfahren herangezogen werden. Die ECA-Guidance empfiehlt hier die post mortem CuSum-Analyse als einfache aber wirkungsvolle Methode. Mit diesem Verfahren werden aufeinanderfolgende Differenzen von einem Richtwert aufsummiert und gegen die Zeitachse aufgetragen. Liegt keine Abweichung vor, ergibt sich eine zur x-Achse parallele Linie; treten bei Teilabschnitten dieser Linie positive oder negative Steigungen auf, zeigt dies eine entsprechende Abweichung zu einem bestimmten Zeitpunkt an. Mit dieser Methode lässt sich sehr gut feststellen, wann (nicht warum) eine Anomalie auftrat; der Grund für die Abweichung kann bzw. muss durch eine anschließende Ursachenforschung ermittelt werden.
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Insgesamt bietet diese ECA-Guidance mit der Beschreibung der unterschiedlichen Verfahren zur Identifizierung von OOEund OOT-Situationen und den in den Appendices zugeordneten Praxisbeispielen ein hervorragendes Rüstzeug für die Verantwortlichen im Qualitätskontrollbereich.
Wie bereits eingangs erwähnt, sollte diese Guidance in engem Zusammenhang mit der ECA-SOP zu Out of Specification (OOS) Results verwendet werden.
Autor:
Dr. Gerhard Becker
... ist seit 2002 bei CONCEPT HEIDELBERG und seither Fachbereichsleiter für die Themen Wirkstoffe und Dokumentation.