Valsartan Skandal: Rechtliche Betrachtung – Teil 2
Einleitung
Im Jahr 2018 wurde der „Valsartan-Skandal“ – Inverkehrbringen von mit Nitrosaminen belasteten Sartan-haltigen Arzneimittel – entdeckt.
Es werden hohe Anforderungen an die Qualität von Arzneimitteln gestellt. Die heutige instrumentelle Analytik bietet enorme Möglichkeiten, spezifische und präzise Bestimmungen durchzuführen und seit Jahrzenten wird der GMP-Komplex ständig um neue Richtlinien und Vorschriften erweitert. Wie konnte es passieren, dass eine als potenziell krebserregend eingestufte Substanz sechs Jahre lang unentdeckt blieb und praktisch per Zufall festgestellt wurde? Sind alle o. g. Maßnahmen und Anstrengungen nicht ausreichend, so einen Skandal zu verhindern, oder werden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht konsequent eingesetzt?
In der vorangegangenen Veröffentlichung „Six years after the six-year Valsartan scandal. Has the knowledge gained been comprehensively and critically appraised?“ ( bzw. Sechs Jahre nach dem Valsartan-Skandal. Sind die gewonnenen Erkenntnisse umfassend und kritisch ausgewertet worden?) in Ausgabe 73 des GMP Journals sind die Aspekte Analytik von Verunreinugungen und Anwendung der GMP-Vorgaben auf diesem Fall bezogen betrachtet worden. Nun bleiben die legalen Aspekte der Verantwortlichkeit, Schadenersatz und Haftung zu erörten.
Das Gesetz
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. (2) Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. |
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (1) Es ist verboten, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die |
Und der Vollständigkeit halber:
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (1) Wird infolge der Anwendung eines … 1. das Arzneimittel … (2) Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist. Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich nach der Zusammensetzung und der Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungsgemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen… |
Wenn nicht ausgeschlossen ist, dass die schädlichen Wirkungen über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder dass die enthaltenen Mengen an Nitrosaminen die Qualität der valsartanhaltigen Arzneimittel nur unerheblich mindern (etliche Chargen wurden zurückgerufen), dann liegt ein Verstoß gegen die §§ 5 und 8 des AMG vor.

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§ 84 Abs. 1 Nr.1: Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn |
Bei Tierversuchen ist nachgewiesen, dass Nitrosamine Krebs verursachen, bei Menschen sind sie als potenziell karzinogen eingestuft. Dennoch, dass der Patient nach mehrjähriger regelmäßiger Einnahme von mit Nitrosaminen verunreinigtem Valsartan an Krebs erkrankt, ist offenbar medizinisch „vertretbar“.
Die Praxis
Entsprechende Gerichtsverfahren wegen Schadenersatzansprüchen laufen schon seit einigen Jahren.
In Deutschland wurden drei Schadenersatz-Prozesse gestartet. Nur einer davon ist am Laufen, derzeit im Berufungsverfahren. Laut OLG München, Stand vom März 2022 (Süddeutsche Zeitung; dpa:220317-99-561787/3), haben die Streitparteien beschlossen, das Verfahren vorerst ruhen zu lassen. Sie wollen versuchen, sich außergerichtlich zu einigen. Sollte das nicht gelingen, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden.
Der Kläger hatte das Mittel gegen Bluthochdruck eingenommen; später wurde ein Tumor bei ihm diagnostiziert. Er geht davon aus, dass das Medikament diesen Tumor verursacht hat, und klagt auf Auskunft und Schmerzensgeld (Az. 1 U 8137/21). Das Landgericht München I hatte seiner Forderung nach Auskunft im vergangenen Jahr stattgegeben – allerdings nur zum Teil (23 O 8725/20 vom 19.10.2021). Er und auch das beklagte Pharmaunternehmen legten Berufung gegen das Urteil ein, darum kam es zur Verhandlung in der nächsten Instanz.
Kernpunkt der bisherigen Debatten ist nicht, ob der Tatbestand (Inverkehrbringen von mit Nitrosaminen belasteten Sartanhaltigen Arzneimitteln) stichhaltig ist oder nicht, sondern, ob tatsächlich deswegen ein Patientenschaden vorliegt. Mit anderen Worten: hat der Patient wegen der langjährigen Einnahme von mit Nitrosaminen belasteten Sartan-haltigen Medikamenten Krebs bekommen oder nicht? Offensichtlich hat der zuständige Richter den Parteien empfohlen, sich außergerichtlich zu einigen. Zivilrechtlich sicher ein pragmatischer Aktenabschluss, arzneimittelrechtlich enttäuschend. Auf alle Fälle lassen die §§ 5, 8 und 84 AMG eine Tür für die Einstellung des Verfahrens mangels Beweise offen. Auch wenn der Skandal hätte vermieden werden können und müssen, wie in der vorangegangenen Veröffentlichung dargelegt.
Was passiert in anderen Ländern?
Anhand von Recherchen im Internet lässt sich sagen: in Mitteleuropa reichlich wenig. Keine Schadenersatzklage in Frankreich, Spanien oder UK. Ganz anders sieht es in den USA aus; dort laufen derzeit weit über 1.000 Prozesse.
Mit Stand vom Januar 2024 waren 1.226 aktive Valsartan-Klagen im Rahmen eines Multidistriktverfahrens bei Richter Robert B. Kugler vom US-Bezirksgericht für den Bezirk New Jersey anhängig. In den Klagen wird behauptet, dass die Beklagten für die Herstellung oder den Vertrieb eines Medikaments verantwortlich seien, von dem sie wussten, dass es potenziell krebserregende Verunreinigungen enthielte. Die Kläger streben Gerechtigkeit und Schadensersatz an.
Das Dritte Bundesberufungsgericht lehnte im April 2023 den Antrag der Beklagten auf einstweilige Verfügung gegen Kuglers Entscheidung zur Klassenzertifizierung ab und ebnete damit den Weg für die Verhandlung der Wirtschaftsfälle Ende 2023 und/oder Anfang 2024 (Consumer Notice; https://www.consumernotice.org › Legal Rights; Valsartan Lawsuit: 2024 Lawsuit Updates & Cancer Claims).

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Wie wäre es mit der Haftung im Falle eines Falles?
Angenommen, bei einem der laufenden Prozesse bekäme der Patient, also der Kläger, Recht, d. h. es würde gerichtlich bestätigt, dass er durch die Einnahme des Arzneimittels einen gesundheitlichen Schaden erlitten habe. Dann würde die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten; für die freigebende sachkundige Person (QP) dürfte der Vorwurf lauten, „Chargen eines bedenklichen Arzneimittels freigegeben – nach GMP zertifiziert – zu haben“.
Nun hinge es von den Einzelheiten der betreffenden Freigabeprotedur ab: wie stark hätte(n) sich die an der Prozedur beteiligten Sachkundige(n) Person(en) schuldig gemacht? Dies ist unter 1.4.2 im Annex 16 eindeutig addresiert:
Die sachkundige Person, die die Zertifizierung der Fertigproduktcharge durchführt, kann die gesamte Verantwortung für alle Herstellungsstufen der Charge übernehmen oder sich diese Verantwortung mit anderen sachkundigen Personen teilen, die bestimmte Schritte der Herstellung und Kontrolle einer Charge bestätigt haben.
Aber im Annex 16 unter 1.3 steht auch:
"... Unabhängig davon, wie viele Betriebsstätten beteiligt sind, muss die sachkundige Person, die das Fertigprodukt zertifiziert, sicherstellen, dass alle erforderlichen Schritte unter Einbindung von akzeptierten pharmazeutischen Qualitätssystemen durchgeführt wurden, ..."
Im vorangegangenen Papier ist ein hypothetisches, aber durchaus realistisches Prozessbeispiel dargestellt, mit der Besonderheit, dass die Zertifizierung der Fertigproduktchargen Valsartan von der QP eines Lohnherstellers (CMO) unterzeichnet wird. Sie stützt sich unter anderem auf die Freigabe zum Einsatz des Wirkstoffes (Valsartan vom chinesischen Produzenten) seitens der Sachkundigen Person des Zulassungsinhabers (Auftraggeber), der den Wirkstoff importiert.
Es stellt sich die Frage der Haftung der Sachkundigen Person. Diese könnte strafrechtlich und zivilrechtlich in Anspruch genommen werden. Voraussetzung wäre, dass ihr zumindest Fahrlässigkeit bei der Überprüfung/Analyse der Wirkstoffe vorzuwerfen wäre. Die Beweislast trüge der Staatsanwalt oder ein Kläger, der die Sachkundige Person in Anspruch nehmen wollte. Die Sachkundige Person müsste nicht ihre Unschuld beweisen, sich selbst nicht exkulpieren. Sie trüge allerdings eine sekundäre Beweislast, d. h., wenn Anhaltspunkte bestünden, sie habe beim Wareneingang die Kontrolle der Wirkstoffe auf Schadstoffe vernachlässigt, müsste die Sachkundige Person im 2. Schritt beweisen, dass derlei Vernachlässigung nicht von ihr verschuldet wurde.
Ich wünsche keinen Kollegen die Verwicklung in einer solchen Angelegeheit. Interessant wäre es schon, wie ein entsprechendes Verfahren ausginge.
Über den Autor:
Dr. Jaime Guardiola
... ist Inhaber von DocJaGuar Consulting und verfügt über mehr als 40 Jahre Industrieerfahrung in den Bereichen Produktion, Entwicklung, Zulassungsfragen, Qualitätskontrolle und Qualitätsmanagement.