Was macht einen guten GMP-Auditor aus?
Wer Personen im GMP Umfeld befragt, was denn einen guten GMP Auditor ausmacht, der erhält schnell und umfassend Antwort, denn das weiß doch wirklich jeder: Er muss über umfangreiches Fachwissen verfügen, nicht nur technisches, sondern auch das der anzuwendenden Regelwerke; er muss sich schnell in neue Prozesse eindenken und diese verstehen können, unabhängig sein und die charakterliche Eignung zum Auditor mitbringen; er muss geschickte Fragetechniken kennen und anwenden - am besten bereits den Nachweis einer Auditorenausbildung mitbringen - geduldig genug sein um zuzuhören, aber auch hartnäckig genug, ein Audit aktiv zu lenken und Dinge zum Abschluss zu bringen. Und kompetent muss er sein - das vor allem - k o m p e t e n t!
Und hier treffen wir zum ersten Mal auf den Begriff, welcher in verschiedensten Lebensbereichen oder Alltagssituationen verwendet wird, und, entsprechend der Perspektive seines Anwenders, Unterschiedliches ausdrücken möchte. Aufgrund dieser Unschärfe lassen Sie uns einmal gemeinsam einen Blick aus sozialwissenschaftlicher Sicht auf das Konstrukt der Kompetenz werfen: Was ist denn eigentlich Kompetenz?
In der Sozialwissenschaft findet sich eine Definition von Kompetenz als ein subjektives "Gefühl der Bewältigbarkeit"1 in unsicheren Konstellationen, eine Befähigung zum Handeln auch in neuen Situationen. Dies weist uns auf die wichtigste Eigenschaft jeglicher Kompetenz: Sie wird erst im (kompetenten!) Handeln beobachtbar bzw. sichtbar.
Die Basis jeglicher Kompetenzentwicklung ist dabei das Wissen, das kognitive ebenso wie das emotionale, sowie damit verbundene Fertigkeiten. Das Vorhandensein dieses Wissensfundus' und dazugehöriger Fertigkeiten innerhalb eines vorgegebenen Handlungsfeldes - damit stets kontextabhängig - kann durch die Qualifikation, also durch standardisierte Prüfungsverfahren abgefragt und bescheinigt werden.
Formal hat der Auditor mit der entsprechenden Qualifikation also seinen zertifizierten Befähigungsnachweis in der Hand - aber ist er damit auch schon umfassend handlungsfähig? Vor allem in unbekannten, in neuen Situationen, welche dem Auditor von Berufs wegen immer wieder begegnen werden? Wohl eher nicht. Und falls Sie schon einmal hochqualifizierten Personen begegnet sind, bei denen trotz aller Qualifikation kein kompetentes Handeln erkennbar war, dann wissen Sie jetzt auch warum: Um den Schritt von der Qualifikation zur Kompetenz zu vollziehen sind diverse weitere Entwicklungsprozesse erforderlich.
Zum besseren Verständnis der Rahmung solcher Entwicklungsprozesse helfen uns Erpenbeck und Heyse, indem sie den eher abstrakten Begriff der "Handlungsfähigkeit in offenen Situationen" durch die Beschreibung "Fähigkeit zur Selbstorganisation" ersetzen und Werte, Normen und Regeln zur Erweiterung der Dimensionen des Handelns ergänzen.2
Abb. 1: Bausteinmodell des Kompetenzbegriffes, eigene Darstellung, angelehnt an Erpenbeck et al.3
Werte, Normen und Regeln werden mit dem bereits vorhandenen Wissen und den Fertigkeiten verknüpft und auf dem Weg der Kompetenzentwicklung verinnerlicht, es entstehen wichtige motivationale und emotionale Bindungen.
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Die Vielschichtigkeit der Ebenen dieser Entwicklungsprozesse und die verschiedenen Dimensionen, welche zur Ausbildung von Problemlösungsstrategien (also dem kompetenten Handeln) zur Anwendung kommen geben uns deutliche Hinweise darauf, dass man dies mit einer Kompetenz alleine nicht wird bewältigen können: Der kompetente Mensch (hier der Auditor) bringt ein ganzes Portfolio an Kompetenzen mit, um eigenständig handlungsfähig zu sein.
Abb. 2: Kompetenzgruppen nach KODE®, eigene Darstellung.4
Abbildung 2 zeigt uns die vier Basiskompetenzen eines bekannten Modells. Eigenständiges Handeln benötigt, wie zuvor beschrieben, das Zusammenwirken verschiedener Kompetenzen: Ohne metakognitive Verarbeitung kann z. B. erworbenes Wissen nicht für die eigene Arbeitsrealität anwendbar werden und die beste Kommunikationsfähigkeit alleine hilft nicht zur Problemlösungsfindung, wenn das dazu erforderliche fachliche Wissen fehlt.
Wenn wir etwas tiefer in diese vier Kategorien hineinschauen finden wir als Bestandteile des "Kompetent-Seins" die sog. Schlüsselkompetenzen, also alte Bekannte wieder, welche uns z. T. zu Beginn des Artikels in anderer Formulierung begegnet sind:
- Sozial-kommunikative Kompetenzen, wie z. B. Konfliktlösungsfähigkeit, Gewissenhaftigkeit, Anpassungsfähigkeit, Sprachgewandtheit usw.
- Fachlich-methodische Kompetenzen, wie z. B. fachspezifisches Wissen, analytisches Denken, Wissensorientierung, Sachlichkeit usw.
- Aktivitäts- und handlungsbezogene Kompetenzen, wie z. B. Entscheidungsfähigkeit, Mobilität, Schlagfertigkeit, ergebnisorientiertes Handeln usw.
- Personale Kompetenzen, wie z. B. Offenheit für Veränderung, Glaubwürdigkeit, Eigenverantwortung, Lernbereitschaft usw.
Aktuelle - formale - Ausbildungen können nicht immer abbilden, was die Zukunft vielleicht einmal als Mitarbeiterleistung einfordern wird - wie soll man Antworten geben auf Fragen, welche (noch) nicht gestellt wurden? Demzufolge sind die Kompetenzen, welche uns handlungsfähig machen, der Schlüssel für ein erfolgreiches Bestehen in einer Arbeitswelt, deren Veränderung, nicht nur in technologischer Hinsicht, sich immer schneller beschleunigt. Das haben mittlerweile nicht nur Arbeitgeber in ihren Bewerbungsprozessen für sich entdeckt, sondern auch die Ersteller von Richtlinien und Normen erkannt: In immer mehr Regelwerken findet sich explizit die Formulierung des "kompetenten" Personals, welches zur Durchführung von Aufgaben eingesetzt werden soll, manchmal nur sehr knapp, manchmal jedoch auch umfangreicher in Bezug auf damit verbundene Forderungen und Eigenschaften beschrieben; beispielhaft sei hier auf den EU GMP Leitfaden und die DIN EN ISO 19011:2018-10 verwiesen.
Fassen wir zusammen:
Wissen ist zwar die Basis von allem, dennoch nicht gleichbedeutend mit Kompetenz; und auch eine (hohe) Qualifikation garantiert noch keine Kompetenz: Kompetenz wird erst im Handeln beobachtbar.
Kompetenzen machen und erhalten uns also handlungsfähig und sind deshalb wert, dass man sie beständig weiterentwickelt und daran arbeitet; und das gilt nicht nur für den Beruf des GMP-Auditors, aber vielleicht für diesen aufgrund seines anspruchsvollen Arbeitsfeldes (Handlungsraumes) in ganz besonderer Weise. Seine Aus- und Weiterbildung sollte also nicht nur den Wissenserwerb umfassen, sondern den Fokus ganz besonders auf Kompetenzerwerb legen und ihm Szenarien bieten, in welchen er Gelegenheiten dafür findet; Szenarien, welche ihm Erfahrungslernen, immer verbunden mit einer direkten Umsetzung in Handeln bieten; welche ihn zur Interiorisation des Erlernten ermutigen und befähigen. Austausch mit anderen, z. B. durch Besuch geeigneter Seminare, Teilnahme an Workshops oder der Durchführung gemeinsamer Audits sind wichtige Elemente zum Aufbau des Netzwerkes, innerhalb dessen ein Auditor Anregung finden und sich weiter entwickeln kann.
Und daran erkennt man, meiner Meinung nach, den guten GMP-Auditor:
Dass er zwischen Qualifikation und Kompetenz unterscheiden kann und beides umfassend mitbringt. Dass er erkennt, dass Kompetenzerwerb in sich keinen festgeschriebenen Abschluss trägt und deshalb den Willen und die Freude an der steten Weiterentwicklung und dem Austausch mit anderen mitbringt. Dass er die eigene Wahrnehmung hinterfragen, andere Perspektiven berücksichtigen und gegen sein verfügbares Wissen und Regeln abgleichen kann. Und dass er die (intrinsische) Motivation hat, Neues zu lernen und bei diesem Lernprozess immer wieder die eigene Haltung und die bestehende Rahmung der eigenen Handlungsweise reflektiert und ggf. anpasst.
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Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg und Freude auf dem Weg zum guten GMP-Auditor - und dazu ein jederzeit kompetentes Handeln!
Anmerkung:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Artikel auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet, entsprechend verwendete Begriffe stehen im Sinne der Gleichbehandlung stets wertfrei für alle Geschlechter.
Über die Autorin:
Petra Barth
... war mehr als 20 Jahre als QC und QA Manager im globalen Pharmabusiness tätig. Seit 2016 arbeitet sie als unabhängige Trainerin im Bereich Erwachsenenbildung mit den Schulungsschwerpunkten QA und Compliance.